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"Kommune leben"

Interview mit AktivistInnen der Kommune-Info-Tour 2004

(Alte Feuerwache, Köln, Februar 2004)

Hans (Kommune Karmitzl, Wendland): Wir wollen versuchen ein Bild von Kommune zu verbreitern, das wir nicht nur eine kleine Insel irgendwo sind, sondern dass wir politisch nach außen wirken wollen und als Beispiel für andere uns präsentieren.

Patrizia (Kommune Niederkaufungen, bei Kassel): Wir sind von unterschiedlichen Kommunen, von großen und von kleinen. Und wir wollen auch eine Anregung geben für eine Möglichkeit sich selbst zu organisieren. Das muss auch nicht unbedingt in Kommune sein, aber wir wollen mal wieder ins Bewusstsein rufen: Es geht auch anders, den Alltag zu organisieren und es macht auch aus politischen Gründen Sinn. Und es kann auch viel Spaß machen.

Hans: Für uns ist auch immer wieder spannend, was für Fragen die Leuten haben, wie sie sich Kommune vorstellen, was für Vorstellungen zum Bespiel über die gemeinsame Ökonomie verbreitet sind, wo dann immer sofort die Fragen kommen: "Ja, wie geht das dann, wenn der Eine das und die Andere das möchte?" Und dann sind die Leute immer ganz erstaunt, wenn wir ihnen mitteilen können, dass Geld und Ökonomie eigentlich nicht das Problem bei uns ist, sondern eher Zeit verwendet werden muss für das Zwischenmenschliche, und dass das viel wichtiger ist und eher zu Stress führt.

eduCat: Das Zwischenmenschliche ist doch gerade heute in der Gesellschaft sehr abgeflacht beziehungsweise sehr vernachlässigt und das wird bei euch stärker in den Vordergrund gestellt?

Patrizia: Ja, Kommune leben, also gemeinsam leben und gemeinsam arbeiten, heißt natürlich schon ganz andere Auseinandersetzungen zu führen, als wenn die Bereiche im Leben sehr getrennt sind. So ist es ja in der Gesellschaft so üblich, dass das Zusammenleben und das Zusammenarbeiten sehr getrennt ist. Und wenn es Probleme bei der Arbeit gibt, dann kann man die bei der Arbeit lassen. In Kommune ist das schon noch mal ein anderer Prozess. Man setzt sich dann mehr miteinander auseinander, weil man ja auch zusammen leben und zusammen solidarisch wirtschaften will. Und dazu gehört auch sich ein bisschen mit den eigenen Macken auseinander zu setzen und auch eine große Toleranz zu entwickeln.

Hans: Das Spannende daran ist, dass es ein gutes Gefühl ist, wenn man merkt, dass Leben und Arbeiten auch heißt auch für Kommunikation Zeit zu haben. Und dass es nicht ein Gefühl ist, wie: "Oh, da vergeuden wir irgendwas. Was machen wir bloß wieder?" Sondern wir gestalten unseren Alltag so, dass auch Zeit für uns da ist, für das Miteinander und das Sich-kennenlernen-können.

eduCat: Ihr habt erzählt, ihr habt relativ viele Kinder bei euch? Sind in allen Kommunen Kinder?

Patrizia: Ja, wobei das sehr unterschiedlich ist. In der Kommune Niederkaufungen, die in der Nähe von Kassel ist, leben nicht so viele Kinder, also 20 Kinder und 55 Erwachsene. Uns ist es auch wichtig, dass die Zahl der Kinder nicht so hoch wird, wie die der Erwachsenen.

Hans: Beim Thema Kinder ist noch spannend, dass es meistens schon so ist, dass es eher jüngere Kinder sind und wenn sie dann älter werden, dass ihnen dann die Möglichkeit gegeben wird selbst zu entscheiden, ob sie überhaupt in Kommune leben wollen. Und dass es nicht so eine Vorstellung gibt, dass wenn sie dort groß geworden sind, sie dort auch bleiben sollen. Da ist Kassel auch ein schönes Beispiel, weil da auch ganz klar ist: die Jugendlichen sollen dann erst mal auch nach außen gehen und was anderes kennen lernen. Und wenn sie sich dann für Kommune entscheiden, können sie auch gerne zurück kommen und werden aufgenommen.

eduCat: Nun zum Arbeiten: teilweise habt ihr eigene Betriebe. Arbeitet ihr sozusagen selbstständig oder in der Kommune selber und andererseits aber doch lohnabhängig?

Hans: Meistens ist das eine Mischung aus beidem. Bei uns ist zum Beispiel die Selbstversorgung sehr wichtig. Da geht viel Energie rein, da wird eben kein Geld verdient. Wir brauchen aber auch welches. Da gibt es dann die eigenen Betriebe, wie beispielsweise eine Mosterei, in der Apfelsaft hergestellt wird. Oder es gibt Arbeitsaktionen, die wir gemeinsam organisieren, oder auch Leute die nach außen arbeiten gehen. Das ist aber meistens keine Lohnarbeit, weil es sich meistens um eine Form von Selbstständigkeit handelt. Dort können die Leute eben auch selbstbestimmt arbeiten und müssen keinen 40-Stunden-Job machen. Das könnte man natürlich - denke ich - mit Kommune nicht vereinbaren.

eduCat: Niederkaufungen ist ja nicht nur eine der ältesten Kommunen [in Deutschland], sondern hat auch eigene Betriebe. Ich kann mich erinnern, vor Jahren waren es so zwei, drei, vier - und jetzt sind es schon...?

Patrizia: Jetzt sind es schon neun - meines Wissens nach. Es sind viele Arbeitsbereiche inzwischen, die sowohl nach innen (also für die Kommune) als auch nach außen arbeiten. Das heißt natürlich, ein Stück weit vom Markt abhängig zu sein, ein Stück weit ein Teil von diesem Wirtschaftssystem zu sein. Das ist natürlich nicht einfach. Das heißt: zum Teil sehr unterschiedliche Löhne werden bezahlt - für bestimmte handwerkliche Dinge, bestimmte Dienstleistungsjobs. In der Gärtnerei und in der Landwirtschaft kann man sehr wenig verdienen, wenn man die Produkte verkauft. Aber es hat sich bei uns bewährt gerade auch bei den gärtnerischen und landwirtschaftlichen Produkten, dass wir beides machen: uns selbst damit versorgen, aber auch die Überschüsse nach außen zu verkaufen. Und wir versuchen es hinzukriegen auf dem Markt Bestand zu haben und zu gucken, dass wir nicht zu viel arbeiten. Und dass wir auch Zeit für Kommune nehmen. Das ist natürlich manchmal ein Spagat und das ist nicht ganz konfliktfrei.

eduCat: Ich komme noch mal auf die Kinder zurück. In Niederkaufungen sind über 20 Kinder - habt ihr da einen eigenen Kindergarten?

Patrizia: Es gibt eine Kita [Kindertagesstätte] auf dem Gelände, in der die Kinder im Kita-Alter hingehen. Das sind im Moment fünf und ansonsten gehen da Kinder aus dem Dorf hin. Die Kita wurde gegründet damit die Kinder vormittags versorgt sind. Und das hat sich dann zu einer offiziellen Kita entwickelt. Ansonsten gehen die Kinder im schulpflichtigen Alter dann in die Freie Schule oder in Schulen im Ort. Und worauf wir schon achten, das hinzukriegen, ist dass sich bei der Kinderbetreuung nachmittags auch Nicht-Eltern engagieren. Also nicht nur die Eltern machen die Betreuung.

Hans: Zum Thema Arbeit fällt mir gerade dieser Spagat ein, den Patrizia angesprochen hat. Dieses Thema hatten wir zum Beispiel in der Kommune angesprochen: das Recht auf Faulheit. Wie gehen wir eigentlich in der Kommune mit Arbeit um? Arbeiten wir uns "tot"? Oder schaffen wir wirklich diesen Freiraum, den wir wollen? Uns das ist immer wieder ein spannendes Thema, weil viele sich auch in der Arbeit verlieren können und man sich wirklich dagegen wehren muss, dass einem das nicht passiert. Das muss man sich immer bewusst machen.

eduCat: Die sogenannte Selbstausbeutung.

Hans: Ja, die wir einem so übergestülpt. Und es ist manchmal unangenehm darüber zu reden, weil sich manche eben in der Arbeit auch selbst verwirklichen. Und das soll ihnen nicht genommen werden.

eduCat: Die sogenannten Workaholics [Arbeitssüchtigen] habt ihr auch?

beide (lachen): Ja, die haben wir auch.

eduCat: Nochmal zur Kommune Niederkaufungen, die liegt ja mitten im Dorf, soweit mir bekannt ist. Wie ist denn die Resonanz bei den AnwohnerInnen?

Patrizia: Ich denke: sehr gut. Wir haben einmal im Jahr ein Fest - das Hoffest - das immer am Ende der hessischen Sommerferien, am letzten Samstag, stattfindet. Um mal ein bisschen Werbung dafür zu machen... Da kommen inzwischen an die tausend BesucherInnen und sehr viele aus dem Dorf. Kaufungen ist eine relativ große Gemeinde. Es kommen natürlich auch viele aus Kassel und von außerhalb zu uns. Viele kommen sehr gerne. Wir haben auch regelmäßige BesucherInnen, die uns mehrmals die Woche besuchen. Das sind meistens ältere Menschen, die die handwerklichen Betriebe von früher noch kennen und die zu uns kommen, weil es sonst so etwas nicht mehr gibt. Also die sich dann mal was sägen oder bohren lassen, was sie woanders nicht mehr machen können im Metall- oder Holzbereich.

eduCat: Wir haben eben in dem Vortag gehört, dass das, was sich Kommunen nennt, am wachsen ist. Ich kann mich erinnern, vor sechs, sieben, acht Jahren, da gab es Niederkaufungen und das sogenannte "Projekt A" - das kennt ihr bestimmt - in dem sich rund dreizehn Betriebe zusammengetan hatten und das leider den Bach herunter gegangen ist. Jetzt erfahren wir hier, dass sich gerade in den letzten fünf, sechs Jahren einige neue Kommunen gegründet haben - auch kleinere (aber auch Niederkaufungen fing ja relativ klein an).

Hans: Das sehe ich auch so. Es gründen sich gerade wieder neue Kommunen, aber man darf auch nicht übersehen, dass bestehende Kommunen auch manchmal das Problem haben, dass sie weniger Leute werden. Die Leute werden älter und es ist nicht ganz so einfach immer diese Generation dann wieder zusammen zu bekommen, weil zum Beispiel jüngere Leute dann doch lieber was eigenes machen wollen, anstatt zu uns - den älteren - zu kommen und zu gucken: "Was haben die schon alles gemacht?" Das ist nicht so einfach. Aber die Neugründungen sind schon viel wert.

eduCat: Wisst ihr was über Neustadt an der Weinstraße.

Patrizia: Das "Projekt A", die "Wespe"? Nein, da kann ich nichts zu sagen...

eduCat: Wie sieht das bei euch aus, wenn sich jemand für Kommune interessiert, gibt da so ein "Schnupperwochenende"? Oder eine Zeit in der man bei euch leben kann? Wie setzt ihr das praktisch um? Und vor allem, wie wir dann entschieden, ob jemand aufgenommen wird? Wahrscheinlich auch per Konsens, nehme ich an.

Patrizia: Wir haben dafür eigentlich eine feste Struktur. Ich sage "eigentlich", weil wir die im Moment etwas eingeschränkt haben. Wir haben alle zwei Monate ein Kennenlern-Wochenende und eine Kennenlern-Woche. Im Moment pausieren wir mit den Kennenlern-Wochenenden, weil im Moment das Problem haben, dass es nicht so einfach ist, neuen Wohnraum für Neue zu finden. Das heisst, wenn Menschen viel Zeit und Interesse an uns mitbringen, können sie sich natürlich gerne melden. Aber sie können nicht damit rechenen, dass ein Einstieg kurzfristig möglich ist. Und die weitere Prozedur ist so, dass es ratsam ist mehrere Kennenlern-Wochen zu besuchen, um uns kennen zu lernen. Und normalerweise ist es möglich eine Probezeit zu machen, wenn es eine Aussicht auf Wohnraum gibt.

Hans: Bei uns ist das eigentlich ähnlich. Nur dass wir das nicht ganz so in Strukturen gepresst haben, sondern dass Leute bei uns einfach anfragen, uns kennenlernen können. Und wenn wir das Gefühl haben, dass sie ein bisschen reinpassen, dann können sie auch eine Probezeit machen. Es gibt aber auch die Möglichkeit für Leute, die erstmal nur zu Besuch kommen wollen und vielleicht drei, vier Monate da sind und mit uns arbeiten und leben wollen. Und Probezeit heisst dann auch immer mit uns wirklich sechs Monate zusammen zu leben. Und dann gibt es auch für jeden die Möglichkeit zu entscheiden: "Bleibe ich oder bleibe ich nicht?" Oder aber auch für die Kommune die Möglichkeit zu sagen: "Das passt wohl doch nicht zusammen", was - denke ich - ganz, ganz wichtig ist, dass man sich diese Möglichkeit offen lässt. Weil oft dann die Leute - oder man selbst - erst später merken, dass es doch nicht passt.

eduCat: Und wie werden die Leute angenommen? Auch im Konsens, also bei einem Veto ist dann Schluss?

Patrizia: Bei uns gibt es diese Möglichkeit. Wir praktizieren den Konsens praktisch mit Vetorecht. Es passiert insgesamt relativ selten, dass ein einzelnes Veto so stehen bleibt. Aber gerade beim Neueinstieg ist das etwas relativ Wichtiges, was sehr geachtet wird. Es passiert sehr selten, denn bei der Größe unserer Gruppe begegnen sich nicht immer alle so nah. Von daher ist schon eine ziemliche Vielfalt möglich, aber es kann trotzdem mal den seltenen Fall geben, dass es sich eine Person wirklich garnicht vorstellen kann. Und das wird meistens schon sehr geachtet.

Hans: Bei uns in Karmitzl, wo wir eben nur zehn Leute sind, da ist es überschaubarer. Da merkt man einfach schon untereinander, wenn einige von uns mit der Person nicht so gut klarkommen. Und da kommt es dann eigentlich garnicht zu einem Veto, weil man dann schon eher zu seinem Kommunarden oder seiner Kommunardin hält und guckt: "Was ist da?", damit man das nachvollziehen kann. Natürlich gehen wir dann damit um und dann sagen mehrere Leute: "Das geht nicht". Das ist ja ein Prozess und nicht so, dass man sich am Schluss zusammen setzt und sagt: "So, wer möchte das jetzt und wer möchte das nicht?", sondern man bewegt sich die sechs Monate lang auch.

eduCat: Können wir eure Adressen veröffentlichen?

Patrizia: Ja, unsere Homepage ist:
http://www.kommune-niederkaufungen.de

Hans: Für Leute, die sich auch für andere Kommunen interessieren, ist auch noch zu sagen, dass es von der "Contraste" [Zeitschrift für Selbstverwaltrung] eine Kommune-Seite gibt, die lautet:
http://www.nadir.org/nadir/periodika/contraste/kommunen.htm

eduCat: Gibt es auch noch andere Kommunikationsorgane, Zeitungen, oder sowas, wo verschiedene Kommunen Beiträge reinsetzen?

Hans: Nein, außer der "Contraste", nach außen nicht.

eduCat: Tja. Wir bedanken uns herzlich für das Interview.



Mehr Informationen:
Kommune-Infotour 2006